Hausbesuch bei Trix und Robert Hausmann für die Zeitschrift Weekender
Spiel mit Spiegeln
Einem himmelblauen Juwel gleich sticht das Zuhause des legendären Schweizer Architektenpaars Trix und Robert Haussmann aus dem Zürcher Seefeldquartier heraus. Wer eintritt, gerät in ein postmodernes Panoptikum der Stile und Formen, welches er inspiriert und bereichert wieder verlässt.
erschienen im The Weekender, Fotos: Rita Palanikumar
Das erste, was auffällt, sind die Spiegel. Sie sind überall. Auch an Orten, an denen keiner sie erwarten würde, wo sie aber durchaus Sinn machen. Hinter den Bücherregalen schaffen sie Tiefe und Eleganz; in der Küche, wo normalerweise Keramikplatten hängen, vergrössern sie raffiniert den Raum; an den Dachfenstern sorgen sie für entscheidend mehr Licht. Und überall geben diese Spiegel den Blick frei in andere Zimmer, lassen sie die Räume zusammenkommen, kreieren sie Transparenz – und eröffnen neue Perspektiven.
Spiegel und Spiegelungen, das ist das Generalthema, das Markenzeichen des kreativen Schweizer Architektenpaares Trix und Robert Haussmann.
Zuerst setzen wir uns in einen Raum mit einem grossem Tisch und einer riesigen Papierleuchte, hier war früher das Atelier. Zwischen zwei grossen Bücherwänden, wo eine umfangreiche Bibliothek mit Design-, Architektur- und Kunstbänden Platz findet, fühlen wir uns wie in einer Wunderkammer, wie mitten in einem Kaleidoskop. Bücher und Spiegel spielen mit dem Auge des Betrachters, immer neue Muster entstehen, ausgehend von den bunten Bücherrücken. Bei genauem Hinsehen allerdings zeigt sich: Die Werke sind perfekt geordnet, nach Themen und Alphabet aufgereiht. Hier sind Bücher zuhause, die immer wieder gebraucht werden. Der 80-jährige Robert Haussmann und seine um ein Jahr jüngere Frau Trix denken nicht daran, sich aus Architektur und Designs zurückzuziehen. Kreatives Schaffen gehört zu ihrem Leben.
Dabei können die beiden auf ein aussergewöhnliches und grosses Werk zurückblicken, dessen Dokumentation zahlreiche Bücher und Kataloge füllt. Die meisten ihrer Möbelstücke sind bekannt, gehören zu den grossen Designklassikern dieser Welt und werden heute oft wie wertvolle Kunstobjekte gehandelt. Von ihren Inneneinrichtungs-Konzepten sind nicht mehr alle vorhanden, so mussten beispielsweise die von Robert und Trix Haussmann postmodern-elegant gestalteten Zürcher Boutiquen Lanvin oder Courrèges neuen Geschäften weichen. Dafür kann man heute noch in der wunderschönen Kronenhallenbar, die Robert Haussmann im Jahre 1965 gestaltet und eingerichtet hat, einen Drink in stilvollem Ambiente geniessen.
Diese Umbauarbeit, welche die ambitionierte Aufgabe stellte, einen Coiffeursalon zur Bar des legendären Zürcher Restaurants Kronenhalle umzugestalten, bedeutete für den Innenarchitekt und Produktegestalter Haussmann den Schritt ins Feld der Architektur. Kurz darauf traf er seine Frau Trix, eine ausgebildete Architektin. Sie heirateten 1967 und gründeten gemeinsam das Designstudio «Die allgemeine Entwurfsanstalt». Seit damals arbeiten die beiden eng zusammen und widmen sich den verschiedensten Gestaltungsprojekten wie Architektur, Innenausbau, Möbel- und Produktedesign.
Ein alltäglicher Treffpunkt mit der Ästhetik des innovativen Paares ist der Zürcher Hauptbahnhof, dessen Shopping-Bereich und S-Bahnhof-Zonen die Haussmanns in den 1990er-Jahren gestaltet haben. Da sorgen unter anderem schwarz-weisse Streifen, blaue Decken, Marmorsäulen, beleuchtete Rolltreppen und Spiegel für Ruhe, Ordnung und Schönheit – und dies am meistbesuchten, lebendigsten Ort der Stadt.
Was das Paar im Grossen gebaut und im öffentlichen Raum gestaltet hat, findet man im Kleinen, im Privaten. Spiegel und Farben umhüllen die Räume, fügen sie zu einer Einheit zusammen, vergrössern sie und machen sie unglaublich elegant. Im Haus der Haussmanns ist eine Wohnqualität geschaffen worden, wie man sie nicht mehr oft antrifft. Denn flüchtige Wohntrends, die beinahe schon so nervös wechseln wie diejenigen der Mode, sowie eine allgemeine Label-Gläubigkeit und Statusmanie verdrängen vielerorts echte Schönheit und Wohnlichkeit. Trix und Robert Haussmanns Zuhause ist gewissermassen die Antithese zu dieser Entwicklung: Hier ist alles authentisch, mit viel Stil erschaffen, natürlich gewachsen.
Die Wohnung im Zürcher Seefeldquartier ist praktisch und elegant zugleich und in einfacher Selbstverständlichkeit schön. Im Eingangsbereich erwartet den Besucher erst mal eine Garderobe, aber bereits auch eine grosszügiges Regal mit Kunstgeschichte-Bänden. Die Bücher verführen einen zum Blättern und Stöbern, bevor man überhaupt den Mantel abgelegt hat. Danach tritt man in die eigentlichen Wohnräume; im Erdgeschoss befinden sich der Arbeits- und Studienraum mit der Bibliothek sowie die Büros.
Der Arbeitsraum ist in einem warmen Orange gestrichen, das Büro nebenan in kühlem Pistaziengrün. Auf die Frage, wie oft sie denn die Wohnung neu gestrichen hätten, antwortet Trix Haussmann, dieser Farbanstrich sei eigentlich erst der zweite und nun schon seit 12 Jahren bestehe. Und Robert Haussmann erzählt: dass sie auf einmal gemerkt hätten, wie alle Kreative – die Künstler, Grafiker, Architekten und Designer in Paris, Barcelona oder Zürich – so ziemlich im gleichen Look wohnten. «Wir alle hatten weisse Wände, Kokosteppiche und edle Designerstücke, Le-Corbusier-Liegen. Aber wir hatten auf einmal genug davon, wir wollten Farbe im Haus.»
Die Haussmanns wollten eigentliche Farbräume gestalten. «Dafür musste der ganze Raum gestrichen werden», sagt Trix Haussmann, «also auch die Decke, die grösste, leere Fläche. Nur so kann das Licht farbig reflektieren und aus den Räumen herausleuchten – das geht aber nur, wenn ein Raum keine Stuckaturen hat, was in unserem Fall so ist.»
Trix und Robert Haussmann suchten nach einem Farbkonzept, alle Farben im ganzen Haus mussten zueinander passen und zusammen harmonieren. «Es dauerte eine ganze Weile, bis wir die Farben ausgewählt hatten», sagt Trix Haussmann. «Zuerst haben wir die drei Kinderzimmer im oberen Stock gestrichen, um zu sehen ob es funktioniert. Danach die weiteren Räume.» Das Holzwerk – vor allem Schränke und Fensterrahmen – sind in Weiss gehalten, Verbindungsräume wie Treppen und Flure grau gestrichen.
Schliesslich galt es, sich für einen Teppich zu entscheiden. «Nach dem wir jahrelang mit den Kokosteppichen und deren Unbeständigkeit kämpften, wollten wir den besten, stärksten und schönsten Teppich, auch diese Suche brauchte ihre Zeit», sagt Trix Haussmann. Der mausbraungrauen Teppich, für den sich die beiden letztlich entschieden haben, hat die hohen Erwartungen offensichtlich erfüllt: Auch nach 12 Jahren hält er sich noch gut.
Vom Arbeitsraum geht es hinaus in den Garten. Auch dieser ist wie ein Wohnraum gestaltet, mit üppigem Immergrün, das Zeit zum Geniessen gewährt statt Jätarbeit zu fordern. Wiederum Spiegel, hier runde, die viel Aussicht bieten und gleichzeitig mit Verwunschenheit kokettieren. Schliesslich ein Betonsessel von Stefan Zwicky, eine Hommage an Corbusiers lc2. Entlang der Treppe, wie auch sonst überall im Haus, hangen in geometrischer Ordnung Kunstwerke, viele von Freunden und Wegbegleitern: Anton Bruhin, Johannes Iten, Richard Lohse, Hans Fischli, Otto Müller, Hans Arp oder Meret Oppenheim.
Die Gebrauchsmöbel, welche Haussmanns entworfen haben und die serienmässig hergestellt worden sind von Firmen wie Knoll, Röthlisberger, DeSede, Wogg oder Horgenglarus, fehlen in der Wohnung – bis auf das eine: das schwarze Palettenregal. «Wenn wir unsere Möbel dauernd um uns stehen hätten, so würde ich dauernd an ihnen weiterarbeiten, sie verändern und nach Verbesserungen suchen», erklärt Robert Haussmann.
Im 1. Stock betreten wir das Wohnzimmer, und hier sind sie nun zu sehen, die Prachtstücke, diejenigen Möbel, welche Robert und Trix Haussmann «Lehrstücke» nennen. Die meisten sind in mehrjähriger Projekt- und Forschungsarbeit entstanden und wurden als Einzelstücke oder in limitierter Auflage produziert. Das Paar setzte sich intensiv mit der italienischen Renaissance auseinander, suchte in der Vergangenheit nach Neuem, kreierte Architekturzitate und spielte mit der Störung der Form durch Dekoration. Dafür benutzten sie aufwändige, alte Techniken wie Intarsien-Dekoration oder Trompe-l’œil-Malkunst.
«Wir haben von den echten Modernisten gelernt, wir hatten Lehrer wie Willy Guhl, Johannes Iten oder Gerrit Rietveldt. Da stellten wir uns dann auch mal die Frage, wie lange Neues überhaupt noch möglich ist – und ob das Neue wirklich das Bessere bedeutet», sagt Robert Haussmann. Das war für Haussmanns der Beginn einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – und der Anfang der Suche nach einer neuen Moderne.
Was die beiden in diesem Prozess schufen, ist schlicht fantastisch: Fantasievolles, das strengen Prinzipien gehorcht, Verträumtes, das mathematisch errechnet worden ist. Zum Beispiel dieser Spiegelschrank: Ein Türmchen, das kokett mit Wirklichkeit und Schein umgeht. Man kann es öffnen, darin sind Regale und Schubladen und Platz für viele Dinge. In den Spiegeln reflektiert sich der Raum und verleiht dem soliden Möbel eine scheinbare Transparenz. Oder jenes Sideboard: Geformt wie eine Brücke mit einem Finish wie schwarzer Marmor. Der vermeintliche Marmor aber offenbart sich aus der Nähe als bemaltes Holz, die einzelnen Bausteine erweisen sich als Schubladen.
Diese Möbel zitieren die Formensprache und die Geschichte der Architektur, sie sind praktisch und dekorativ zugleich, sie vereinen Intelligenz und Kreativität, und verführen die Fantasie der Betrachtenden. Und was die Kraft der Einzelstücke ausmacht, ist auch die Wirkung des Ganzen, des himmelblauen Zuhauses von Robert und Trix Haussmann: Es eröffnet neue Perspektiven, verführt mit seiner Eleganz und seiner Qualität.
Und während wir die Gastfreundschaft von Trix und Robert Haussmann geniessen, Champagner trinken am grossen Arbeitstisch, wissen wir, dass wir nicht nur durch die farbigen Räume gewandert sind, sondern auch durch verschiedene Zeitepochen, erlebte, erforschte und interpretierte. Wir haben in den Spiegeln anderes gesehen als nur uns selbst: nämlich die Moderne im Rückblick entdeckt.