Skandinavien liegt in St. Gallen
Schöne Dinge machen glücklich: Das spürt man gleich beim Eintritt in die St. Galler Altbauwohnung der Familie Murto Röllin. Denn das Quartett lebt ganz selbstverständlich mit den allerschönsten Designstücken. Die Möbel werden benützt als das, was sie eigentlich sind, nämlich praktische, formschöne und vor allem alltagstaugliche Gebrauchsgegenstände. Die finnisch-schweizerische Familie ist vor zwei Jahren nach St. Gallen gezogen, zuvor lebte sie an der finnischen Küste. Jukka hat kürzlich ein Geschäft eröffnet in Zürich und verkauft dort nordisches Vintage Design, Anna ist Pianistin und unterrichtet Klavier. Die freundliche, unkomplizierte Wohnung strahlt viel nordische Gemütlichkeit aus und widerspiegelt das künstlerisch aktive Leben der jungen Familie.
Text: Marianne Kohler Nizamuddin Fotos: Rita Palanikumar
Nordisches Design ist perfekt für Wohnungen und aktive Familien, es ist unkompliziert, formschön und einfach praktisch. Es ist aber auch die Leidenschaft von Jukka Murto, der in den Neunzigern den Weg zum Handel mit Design eigentlich über einen Studentenjob gefunden hat. Er eröffnete seinen ersten Laden in Helsinki, der dann auch bald als Geheimtipp in internationalen Trendzeitschriften wie «Wallpaper» gehandelt wurde. Anna, deren Mutter Finnin ist und der Vater Schweizer, hat in Wien Klavier studiert und Jukka in Helsinki kennen gelernt. Sie lebten abgeschieden an der finnischen Südküste, wo Jukka einen Bauernhof praktisch eigenhändig umgebaut hat. «Ein idyllischer Ort mit kleinen Kindern, aber auch viel Gartenarbeit, Schnee und wenig Sozialleben», erklärt Anna. Die Familie ist vor zwei Jahren nach St. Gallen gezogen, in ein neues und städtischeres Leben. Jukka eröffnete im Mai ein Geschäft in Zürich, Nord 3, da verkauft er in einer riesengrossen Lagerhalle an der Leutschenbachstrasse 44 seine Designtrouvaillen aus dem 20. Jahrhundert, die vorwiegend aus Finnland, Dänemark und Schweden kommen. Anna unterrichtet an verschiedenen Schulen Klavier. Die Wohnung haben sie sich mit den wunderschönen Designstücken, die Jukka gefunden und gesammelt hat, eingerichtet. Hier posiert die Familie für Sweet Home vor einem modularen Regal von Alvar Aalto aus den 1930er-Jahren. «Es ist einfach genial», schwärmt Jukka, «denn egal wo wir hingezogen sind, es passt immer rein.»
Jukka ist wie ein wandelndes Designlexikon. Während Rita, die auch nordische Wurzeln hat, mit grosser Begeisterung die tollen Möbel und Ecken fotografierte, bekam ich eine Privatlektion in nordischem Design. Zu jedem Möbelstück, jeder Lampe oder Vase hat Jukka eine Geschichte, zieht ein Buch hervor und sprudelt nur so vor Begeisterung und Wissen. Das Wichtigste aber ist ihm der Gebrauchswert der Stücke, und dies beweist die unkomplizierte, wohnliche und kinderfreundliche Einrichtung. «Nordisches Design ist leicht und besticht durch eine schlichte Formschönheit. So kann man die Möbel eigentlich nur hinstellen, und sie sehen immer gut und modern aus, auch wenn die meisten eigentlich 80 oder mindestens 50 Jahre alt sind», so Jukka. Das Wohnzimmer ist denn auch ein freundlicher, heller Raum, der eine leichte Wohnlichkeit ausstrahlt. Die beiden Sofas von Poul Kjaerholm aus den Fünfzigern stehen sich auf einem farbigen Webteppich gegenüber, dazwischen ein Couchtisch von Florence Knoll. Im anderen Bereich des Raumes steht ein grosser Esstisch, um den herum die superleichten, «nicht nordischen» Stühle von Gio Ponti stehen.
Schönheit für das Auge und das Ohr bestimmt den Alltag der jungen Familie. «Wir benützen unsere Möbel ganz normal, sie sind keine Museumsstücke und werden wirklich gebraucht. Sie machen das Wohnen einfach, da sie leicht und schlicht sind, nicht unverrückbar und statisch wirken, und sich in ihrer Unkompliziertheit als familientauglich erweisen», schwärmen Anna und Jukka. In der Ecke steht der Kontrabass von Sohn Eliel – in Kindergrösse.
«Was hinter dem Sofa steht, ist Kunst, die zu uns passt», erklärt das Paar. Wie ein Stück Eis, und perfekt in der Grösse zum Raum, wirkt die Skulptur von Cristian Andersen, einem jungen Zürcher Künstler mit dänischen Wurzeln. Sie heisst «Get the Balance right» und ist wachsüberzogener Styropor. Über dem Sofa liegt ein Stoff von Josef Frank aus den Fünfzigern.
Ein antiker finnischer Büroschrank aus dem Jahr 1920 wirkt so, wie wenn er auf Mass für die Wand im Eingang angefertigt worden wäre. Die Deckenleuchte ist vom finnischen Designer Paavo Tynell.
Anna schwärmt vom St. Galler Blumenmarkt. «Ich finde dort immer wunderschöne Blumen und Zweige, die ich gerne zu meinen eigenen kleinen Sträussen kombiniere.»
Wenn es um praktische und schöne Schrankwände geht, können wir mit Überzeugung behaupten: Früher war es viel besser! Beim Anblick eines absoluten Prachtstücks des dänischen Designers Borge Mögenden, im Schlafzimmer, bekamen die Fotografin Rita Palanikumar und ich grosse Augen – haben wir doch in unserem Berufsalltag schon viele Schranksysteme in Szene gesetzt und fotografiert, aber das ist das erste, in das wir uns beide sofort verliebt haben.