Das Holzhaus von Pascal Flammer

Es gibt sie noch, oder besser: wieder, die international relevante Schweizer Architektur, die ganz selbstverständlich mitten im Land steht, sich entscheidend abhebt vom Mainstream und die schönen, alltagstauglichen Lebensraum für Familie und Arbeit bietet. Pascal Flammer hat ein solches Haus gebaut und wohnt gleich selbst da. Wir besuchten ihn in seinem modernen Stöckli in Balsthal – und haben viel mehr als Idylle gefunden.

Text: Marianne Kohler Nizamuddin  Fotos: Rita Palanikumar

Als wir am Ende des kleinen Strässchens, das bei einer katholischen Kapelle beginnt und unter einer romantischen Burgruine hindurchführt, endlich Pascal Flammers Holzhaus sahen, überraschte es uns mit seiner Stärke und Moderne, obschon wir es natürlich bereits auf Bildern gesehen hatten. Auch Pascal Flammer war eine Überraschung. Ein sehr jung wirkender Mann, dem die Haare zu Berge standen, der ein wenig verdutzt dreinschaute und uns erklärte: «Es ist grad etwas Wunderbares geschehen – ich bin so etwas wie Professor geworden, deshalb muss ich jetzt noch duschen gehen …» Es war drei Uhr nachmittags, ein strahlend schöner Frühsommertag mitten im Solothuner Jura. Und wir waren gespannt auf die ganze Geschichte.

Den Auftrag für das Haus in Balsthal bekam der junge Architekt von der Besitzerin des Bauernhofs und des umliegenden Landes. Ein neues Stöckli musste her, denn das alte war kaputt und morsch. Der Bauer ist aber noch jung und wird noch eine ganze Weile nicht ins Stöckli ziehen. So stellte sich denn Pascal Flammer einen virtuellen Bewohner vor. Aus diesem machte er einen Dorflehrer, der auch als Organist arbeitet. Für einen solch zukünftigen Mieter kreierte er das starke Haus, nicht ahnend, dass er es selber einmal mieten würde, um mit seiner jungen Familie darin zu wohnen.

Er teilte das Haus in drei Bereiche: Das Erdgeschoss nennt er «das Animalistische». Hier arbeitete er die Grundgefühle von Angst und Geborgenheit ein. «Man fühlt sich in diesem Raum ein wenig wie ein Tier, das sich eingegraben hat und zugleich den ganzen Überblick auf das umliegende Territorium hat», so der Architekt. «Man ist mitten in der Wiese, alles ist offen, und es ist keine Rückwand da, die schützt.» Geborgenheit entsteht dadurch, dass der Architekt das Haus ein wenig in der Erde vertieft konzipiert hat, sodass man sich auf Augenhöhe mit dem Boden befindet.

«Das Obergeschoss ist dann genau das Gegenteil, hier habe ich an einen ‹Palazzo› gedacht. Die Natur ist von diesem Teil des Hauses ein Bild, das man gerahmt und aus einer gewissen Distanz betrachtet. In diesen Räumen hat der Mensch die Kontrolle. Es ist möglich, genau wie in einem Palazzo, von einem Raum in den anderen zu gehen. Die Raumaufteilung geht übers Kreuz, ich habe jeweils für jedes neue Zimmer den Grundriss halbiert.»

Die dritte Welt passte leider nicht mehr ins Budget. Da hätte der Architekt gerne ein Untergeschoss gebaut, eine Art Atelier mit Oberlicht. «‹Tagtraum› wäre die Idee und die Bezeichnung gewesen», beschreibt Flammer diese Raumidee. «Es wäre ein Ort gewesen, in dem man sich nicht wirklich in Balsthal befunden hätte, sondern einfach da, wo man sich gerade fühlte.»

Die Zusage für die Stelle als ETH-Dozent, die Pascal Flammer gleich vor unserem Eintreffen bekommen hatte und ihn vor lauter Aufregung vom Duschen abhielt, macht ihn nicht nur glücklich und stolz. «Ich freue mich mit einem Haufen junger, motivierter Studenten „rumzudenken“», so Pascal. Und sie gibt dem Architekten mehr Freiraum für eigene Projekte.

Pascal Flammer hat an der ETH in Zürich studiert, an der TU in Delft und an der EPF in Lausanne. Er hatte auch die Chance Architekten wie Winy Maas von MVRDV zu treffen. «MVRDV und West 8 gehörten damals, 1998, in Delft zur 2. Dutch Generation, sie folgten auf Rem Kolhaas und brachten freche Ideen in die Architektur». Pascal Flammer wollte danach noch mehr von der Welt sehen und erst einmal unbedingt in Skandinavien arbeiten. Die Geschichte klingt abenteuerlich: Mit gerade mal 600 Franken in der Tasche machte er sich auf, um Arbeit zu finden. Er versuchte es in Kopenhagen, Oslo, Stockholm und Helsinki. Um irgendwo schlafen zu können, fragte er Leute auf der Strasse nach einem Platz zum Übernachten. Nach fünf Monaten gab er auf und kam zurück in die Schweiz. Eine andere Geschichte erfuhren wir auf die Frage, ob er denn schon einmal in Japan war, denn seine strenge, formschöne und pragmatische Architektur lässt uns an Japan denken. Er wollte da hin, aber auch hier habe es am nötigen Cash gemangelt, sagt Flammer. So entschied er sich dazu, mit zwei Freunden in einem Fiat Panda nach Japan zu fahren. Ein wenig Sponsoring bekamen sie von einer Zigarettenfirma. Sie fuhren los, schliefen unter freiem Himmel auf syrischen Feldern, erlebten so manches Abenteuer und kamen bis nach Pakistan. Dann ereignete sich das Drama von 9/11. Für die Reisenden hiess das: weg aus Pakistan, zurück in die Schweiz.

Acht Jahre lang arbeitete Pascal Flammer für den renommierten Schweizer Architekten Valerio Olgiati, dem er auch als Lehrer in der Architekturfakultät in Mendrisio assistierte. Danach bekam Flammer die Möglichkeit, in Harvard zu lehren. Besonders mochte er dort die flache, amerikanische Hierarchie und die Tatsache, dass die beste Idee hilft, weiterzukommen. Den Sprung in die Selbstständigkeit schaffte er mit der Teilnahme an vielen Wettbewerben. Und schliesslich mit dem Auftrag für das Haus in Balsthal.

Doch auch ohne diesen dritten Teil ist das Haus komplett. Von einer schlichten, modernen Schönheit, die sich trotz – oder wahrscheinlich genau wegen – der Andersartigkeit sehr harmonisch mit der Aussenwelt verträgt. Alles ist aus Holz, die Fenstersimse sind zugleich Schiebeschränke, in denen der ganze Haushalt Stauraum findet. Der eine Teil des grossen Raumes wird als Küche und Essraum benützt, der andere ist Wohnraum, und rundum ist freie Sicht auf die Natur. . Und vor dem Haus beginnt die Welt – kein putziges Gärtchen, das abgesteckt ist, keine Nachbarn ausser die Bauern und deren Tiere. Feld, Wald und Wiese, so weit das Auge reicht.

Eine weisse, filigrane Wendeltreppe aus Metall, mit Holztritten versehen, führt in die obere Etage

In der oberen Etage befinden sich Schlafräume, Bad und Atelier. Die riesengrosse Luke ist fast so was wie Kunst im Raum.

Alle Räume im oberen Stockwerk führen zueinander. Badezimmer und Ankleide sind zentral angelegt. Als Schrank dienen eine simple Stange, um die Kleider aufzuhängen, und ein Schubladenkorpus. Darum herum kann man, wenn man möchte, einen Vorhang montieren. Schlicht, funktional und mit einer harmonischen, selbstverständlich wirkenden Formensprache ist auch der Innenausbau im oberen Stockwerk des Stöcklis gestaltet. Das Badezimmer hat das genau da Regalflächen hat, wo man sich welche wünscht.

Das Haus in Balsthal gehört mit seiner Durchdachtheit, der Formstärke und der gelungenen Anpassung an die Umwelt zu der Art von Häusern, die der Schweiz guttun.

Pascal Flammers Website: www.pascalflammer.com